Die Christkindelfahrt

Die Bartls Bäsl Greti wohnte in der Hinterstube ihres Hauses, die ihr nach der Rückkehr aus dem Baragan zugewiesen worden war. In der vorderen Stube wohnten Kolonisten.

Sie hatte in ihrer Haltung noch immer etwas von der einstigen Bäuerin, obzwar ihr der Krieg schwer mitgespielt hatte. Den einen Sohn hatte sie im Krieg verloren, der andere, Nicki, lebte in Deutschland. Ihr Mann hatte durch die Schicksalsschläge sein frühes Grab im Baragan gefunden. Sie schlug sich trotz aller Widerwärtigkeiten recht und schlecht durchs Leben. Nach ihrer Rückkehr hatte Nicki aus Deutschland ihr eine Strickmaschine geschickt.
Diese sicherte ihr den Lebensunterhalt. Obwohl Nicki sich bei allen Stellen bemühte, sie zu sich zu nehmen, blieb alles erfolglos. Nun tat sich ein Lichtblick vor ihr auf. Noch vor Weihnachten wollte ihre Nichte Lina Giel aus Deutschland zu Besuch kommen. Sie freute sich darauf, denn nun würde sie von ihrem Sohn Nicki und seiner Familie hören. Er hatte in Deutschland geheiratet und eine einheimische Schwäbin zur Frau genommen. Die beiden verstanden sich gut und ihr größtes Glück war ihr Töchterchen Monika.
Gerade jetzt vor Weihnachten brach sich die Bäsl Greti das Bein. „Jetzt kann ich nicht zur Bahn gehen und Lina erwarten“, klagte sie ihrer Schwester Rosi, die ihr die nötigen Handreichungen machte. „Es werden wohl traurige Weihnachten für mich werden!“
Ihre Schwester aber versuchte sie allemal zu trösten, wenn sie sagte“ Wer weiß, vielleicht werden die Weihnachten noch schöner als man sich denkt.“
Die Besuchsfahrten von Deutschland nach Rumänien hatten inzwischen eingesetzt und der Tag, an dem Lina Giel nach fünfzehnjähriger Abwesenheit wieder das Pflaster ihres Heimatdorfes betreten sollte, rückte immer näher. Das ganze Dorf fieberte der Ankunft der Besucher aus Deutschland mit einer Freude und Erwartung wie einer Frohbotschaft aus einer anderen Weh, entgegen. Man stand auf den Gassen und fragte und tuschelte wie die Kinder über das Christkind. Jeder wollte Lina zuerst begrüßen, jeder wollte sie zuerst sehen, und es war wie eine Prozession, die sie am Bahnhof erwartete.
Am Tag der Ankunft wälzte sich die arme Bäsl Greti ruhelos in ihrem Bett. Rosi versprach ihr auch, Lina gleich nach der Ankunft herzuführen. Die Kranke betete voll fiebernder Ungeduld in ihrem Bett den Rosenkranz. Neben ihr auf dem Nachtkästchen lag ein neues, weißgestärktes Kastentuch und darauf standen die Bilder ihres Sohnes Nicki mit seiner Frau Hilde und das der kleinen Monika im leichten Sommerkleid. Immer wieder gingen ihre Gedanken mit ihren Blicken hinüber zu den Bildern ihrer Angehörigen, über die sie heute viel zu hören hoffte. Die Dämmerung war hereingebrochen. Bäsl Greti machte Licht. Sie malte sich aus, wie Lina nun vom Bahnhof gekommen sei, das Elternhaus in einem stillen Umgang besichtigen, essen und zu ihr kommen würde. Während sie noch diesen Gedanken nachhing, klopfte es. Ohne ihr „Herein“ abzuwarten, stürzte auch schon die langersehnte Lina ins Zimmer. „Grüß dich Gott Greti-Tante!“ rief sie freudig und umarmte diese unter Jubel und Tränen. „Dass du endlich da bist!“ stammelte die Greti Bas und drückte ihre Nichte an sich. Überwältigt vom Wiedersehen, vermochte sie kaum zu sprechen. Nur die Tränen der Freude flossen reichlich. Kaum daß sie sich gefaßt hatten, platzte sie auch schon mit dem heraus, was ihrem Herzen am nächsten lag. „Hast du auch mit Nicki gesprochen, und mit Hilde, und mit Monika, ehe du weggefahren bist? Sprich doch! Erzähle mir alles! Ist seine Frau wirklich so gut? Und ist die Monika wirklich so hübsch wie auf dem Bild?“ „Ja, ja, Hilde .ist viel besser als du glaubst, und die kleine Monika noch tausendmal hübscher als hier auf dem Bild“. Da klopfte es erneut. Erst auf das zweite Anklopfen öffnete sich die Tür und als ein kleines Silberglöcklein zu hören war, sprang Lina auf und riss beim Aufstehen die Nachtlampe um, die dann erlosch, so dass das Zimmer im Dunkel lag.
„Mache Licht!“ rief Bäsl Greti. Ehe sie noch etwas sagen konnte, erschien im Türrahmen ein kleines Mädelchen im schneeweißen Mantel. Es trug einen kleinen Tannenbaum mit einer brennenden Kerze, einem silbernen Stern und glänzendem Schmuck in der Hand.
Sie starrte mit weitaufgerissenen Augen auf die Erscheinung in der Tür.
„Mache Licht, Lina, ich bin geblendet!“ Mir flimmert es vor den Augen. Ich sehe ein Leuchten und Glänzen wie vom Christkind! Inzwischen erschienen in der Tür im Schein der flackernden Kerze noch andere Gestalten. Noch immer starrte Bäsl Greti verwirrt auf die Erscheinung, als eine zage Kinderstimme in die dunkle Stube hinein piepste:
„Sieh, nun ist das Christkind hier, Frohe Weihnacht wünsch ich dir!“
In diesem Augenblick flammte das Licht wieder auf. Mit tränenerstickter Stimme brach es aus der Kranken hervor: „Monika !“ Das Kind mit dem Christbaum hatte eine untrügliche Ähnlichkeit mit dem Bild auf ihrem Nachtkästchen. Dann trat hinter dem Kind eine junge Frau im Mantel hervor, hob das Kind zu Bäsl Greti auf das Bett empor und sagte: „Ja, Mutter, ich habe dir ein lebendiges Christkind, dein Enkelkind, die Monika gebracht!“
„Liebe, kleine Monika, süßes, goldiges Kind!“, stammelte Bäsl Greti fassungslos vor Glück.
Dann schloss sie ihre Schwiegertochter in die Arme. „Lass dich begrüßen, liebe, liebe Hilde, dass du mir diese große, unsagbare Freude und Weihnachtsüberraschung bereitet hast!“.
“ Mutter, wenn doch Nicki das sehen könnte! Ich bin gekommen auch für ihn und habe viele Grüße und Küsse von ihm auszurichten. Doch das Schönste ist, dass wir dir, liebe Mutter, unser Kind bringen, und dass ich dir erzählen kann von unserem Leben und unserem Glück“.
Die Bäsl Greti maß die vornehme, junge Dame noch immer mit ungläubigem Staunen. Konnte es wirklich wahr sein, dass diese junge Frau die ihres Sohnes war? „Seid ihr wirklich glücklich miteinander? Du mit dem Banater Buben, mit meinem Nicki?“ fragte sie noch immer ungläubig und staunend. „Ja, Mutter, wäre ich denn sonst hier, um die Heimat und die Mutter meines Mannes kennen zu lernen? Bin ich nicht durch Nicki auch eine halbe Banaterin geworden? Und ist unser Kind nicht auch ein Abkömmling dieses Banater Stammes?
Ich bin gekommen, um euch und euer Leben, eure Freuden und euer Leiden kennen zu lernen, um dieses Banat lieben zu lernen.“ „Oh, das alles willst du für uns tun? Hilde, liebe Hilde!“ schluchzte die Bäsl Greti. Sie strich liebkosend über den Kopf des kleinen Mädchens, das ebenso staunend vor dem Bette stand. „Ja, heute ist wirklich das Christkind zu mir gekommen, das lebendige Christkind, wie ich es in meinem ganzen Leben niemals erlebt habe!“ Bäsl Greti hörte nicht und sah nicht was um sie geschah, so glücklich, so hingegeben war sie. Inzwischen hatte sich die Stube mit Menschen gefüllt, die Zeugen wurden, wie die Liebe über Grenzen hinweg zu den Ihren fand.
Und alle spürten, dass auch diese Stube jetzt zum Bethlehem geworden war, und dass es noch etwas Großes gab um die Liebe, die ihre Schwingen ausbreitete über alle Not und Schwermut der Welt.

von Annie Schmidt-Endres