Rumänien – das Banat der Orgeln und die Bundeskultur

Franz Metz erhielt das Bundesverdienstkreuz. Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien widmet seinem Wirken und ihm selbst einen Artikel, der auch den Bezug zu Lenauheim in seiner Arbeit aufweist.

Es gibt Sätze, Erkenntnisse und literarische Texte, die einen begleiten und die geistige Stabilität und intellektuelle Souveränität geben. Von Hannah Arendt stammt die Erkenntnis: „Niemand hat das Recht zu gehorchen.“ Das ist ein Satz, der Deutschland meint, er hat seine Berechtigung und Würde auch in anderen Teilen der Welt, so in Rumänien. Und es gab auch dort immer Menschen, die sich widersetzten, die sich ein inneres Vaterland erhalten hatten, das vor dem Zugriff der Geheimdienste sicher war. So einer ist Franz Metz. Plötzlich saß er mir gegenüber im Jahr 1995. Mein Büro lag in der Ulrich von Hassel-Straße in Bonn-Hardtberg, wohin ein Teil der Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern (BMI) ausgelagert war.

Nach § 96 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) aus dem Jahre 1953 hat auch der Bund die Pflicht, „das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Biblio-theken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kulturschaffens und der Ausbildung sicherzustellen. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und Eingliederung ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern.“ Eine Vorschrift wie Donnerhall. Und sie klang und klingt immer noch nach Nachkrieg und Elend, für die SPD-Regierung von 1998 allerdings nach „Fünfter Kolonne“ der Union-Parteien, nach Revanchismus und Großdeutschland. Das war und ist jedoch perfide, geschichtslos und ideologisch.

1995 saß nun der Musikwissenschaftler und Organist Dr. Franz Metz vor mir als Referatsleiter für Wissenschafts- und Kulturförderung auf der Grundlage von § 96 BVFG und entführte mich mit Erzählungen, Archivalien und Büchern ins rumänische Banat, in eine Welt voller Anmut und Schönheit, weit weg vom rheinischen Bonn und doch irgendwie mir geistig zugehörig. Ein Pompeji mitten in Europa. Franz Metz war und ist ein Ausgräber und Bewahrer.

Im Jahre 1972, noch weit entfernt von der (mir) erhofften Einheit der beiden Staaten in Deutschland, fand ich im Gedichtband „Zimmerlautstärke“ von Reiner Kunze, das Zitat, was der kleinen Lyriksammlung vorangestellt ist; es ist von Seneca:

… bleibe auf deinem Posten und hilf durch deinen Zuruf; und wenn man dir die Kehle zudrückt, bleibe auf deinem Posten und hilf durch dein Schweigen.

So etwas prägt und es passt zu Franz Metz. Reiner Kunze widersetzte sich den Verhältnissen in der DDR, lange bevor man diesen Staat als „Unrechtsstaat“ und „Diktatur“ bezeichnete. Viele hielten bis 1989 den SED-Staat als natürliche und moralische Konsequenz aus dem Terror-Staat III. Reich. Wie fern war die DDR wirklich, wie fern der sozialistische Bruderstaat Rumänien? Sind manche Mentalitäten nicht geblieben auch am Rhein?

AUF EINEN VERTRETER DER MACHT
ODER
GESPRÄCH ÜBER DAS GEDICHTESCHREIBEN
Sie vergessen, sagte er, wir haben
den längeren Arm
Dabei ging es
um den Kopf

Das schrieb Kunze. Jetzt war ich „Kopf“, BMI-Beamter und vor mir einer, der wusste, wie im rumänischen Sozialismus die Menschen „auf Vordermann“ gebracht worden waren, wie der Securitate-Staat in die Poren und Köpfe dringen wollte. Und ich wollte der ganz andere sein, Angst und Respekt nehmen und vor allem neugierig sein auf eine ferne Landlandschaft, die mich ansprach – mit Musik und Literatur.

Der portugiesische Dichter Fernando Pessoa schreibt im „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“:

Die Kunst befreit uns illusorisch vom Schmutz des Seins… Die Kunst aber kennt keine Desillusion, denn die Illusion ist von vornherein einkalkuliert. Aus der Kunst gibt es kein Erwachen, denn in ihr schlafen wir nicht, auch wenn wir in ihr träumen.

So ist es in Rumänien.

Im Banater Ort Lugosch öffnete sich die Orgelwelt für Franz Metz als Jugendlicher, angeleitet von seinem Vater, der in der Kirche der Stadt als Kantor wirkte. Dort erklangen Messen für Chor und Orchester und schon bald war er als Organist in die Festlichkeiten eingebaut. Wer von den ehemals 800.000 Deutschen in Rumänien spricht, hat meist die Siebenbürger Sachsen im Auge und meint, diese ethnische Gemeinschaft sei die einzige deutschsprachige gewesen. Aber es waren einige deutsche Volksgruppen. Die Banater Schwaben kamen auf den „Ulmer Schachteln”, mehr Flöße als Schiffe, später ins Habsburger Maria-Theresia-Land, in die K.u.k.-Monarchie – etwa vor 260 Jahren – während die Sachsen aus dem Letzeburgischen und Eifeler Raum schon von 860 Jahren in die Regionen zogen, die seit 1919 zu Rumänien gehören. Und der besondere Unterschied: die Deutschen im Banat sind – oder besser, waren – überwiegend katholisch. Und die rumänische Volksrepublik erkannte im Gegensatz zur evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnis die katholischen Gemeinden nicht an, beäugte sie unentwegt und unterstellte den frommen Banatern Subversion – wohl eine späte Folge der Habsburger Zeit, des katholischen Wiens. Alles Liturgische und Kulturell-Katholische galt als politisch gefährlich, was zudem das Ungarische und die zahlreichen Staatsbürger Rumäniens dieser Ethnie einschloss, denn die Ungarn waren und sind auch katholisch und gehörten zum k.u.k. Staatsverbund bis zum Frieden von Trianon vom 4. Juni 1920, der bis zum heutigen Tag von den Budapestern National-Ungarn als schreiendes Unrecht bezeichnet wird. Orbán steht für viele.

1974 bis 1978 studierte Metz die Königin der Instrumente an der Bukarester Musikhochschule. Seit der Zeit ist er neben Ursula Philippi aus Hermannstadt und Eckardt Schlandt aus Kronstadt der bedeutendste Organist in Rumänien. Und er kennt alle Orgeln, die Buchholz- und Sauerorgeln in den großen Kirchen und die winzigen Örgelchen, die den Banater und siebenbürgischen Dörfern Seele und Glanz geben.  Franz Metz ist ein Retter und Finder von Orgeln, die in Not sind, die verfallen, die aufgegeben werden und in die nun der Schnee einfällt, ja: Schnee, der letzte und bitterste Organist.

Hunderte Instrumente hat er beschrieben in unzähligen Büchern, Artikeln und Vorträgen und wie oft hat er Ministerien in Bonn und Berlin, Stuttgart und München bestürmt, die Orgeln zu dokumentieren vor dem endgültigen Verfall. Denn er weiß wie kein anderer, dass die Orgelbaukunst in Rumänien eine deutsche Note hat, dass diese Instrumente das kulturelle Gedächtnis von Volksfrömmigkeit und so von deutscher und österreichischer Kultur bilden. Hinzu kommen das Aufspüren und Sichern von Noten. Diese fanden sich in Dachböden, Kellern und Verließen. Die Sozialisten in Rumänien wollten keine Noten, erließen deshalb eine Verordnung, wonach auch die Kirchen eine bestimmte Menge „Altpapier” abzugeben hatten. Und so entsorgten die armen Pfarrer riesige Mengen an Kirchennoten und Musikalien. Metz fand dennoch vieles. Aber wohin damit? Er ist nahezu allein. Auf meine Anregung errichtete er in München einen Verein, die „Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa”, so dass er einige Helfer hat, jedoch reicht das alles nicht, den Untergang der Orgellandschaften im Banat und Siebenbürgen zu stoppen.

Politisch borniert und kulturlos ist, diese wichtige Arbeit unter das Stigma der „Vertriebenenkultur” zu stellen. Das haben mit Nachdruck und leider auch mit Nachwirkung Michael Naumann getan und noch mehr sein williger Vollstrecker Nevermann. Für dieses Polit-Duo war alles Östliche politisch kontaminiert. Und fatal ist, dass die Bundesregierung – ob im Kanzleramt bei BMK oder im AA – die Relevanz deutscher Kultur im östlichen Europa immer noch nicht erkennt, sondern die sog. § 96-BVFG-Kulturförderung mal gerade so mitlaufen lässt, ist doch das alte – und sprachlich wenig anmutige – Gesetz von 1953 noch nicht abgeschafft. Hingegen verteilt die Bundeskulturstiftung jährlich 40 Millionen und im Zuge der Corona-Pandemie lässt die Kanzlerin durch ihre BKM-Kulturabteilung über eine Milliarde an „Neustart-Kulturmitteln“ auf die Kultur regnen. Zu Recht, aber wo bleibt der Blick nach Osten? Vertriebenenkultur? Das ist ein Totschlag-Begriff.

Die Wahrnehmung der eigenen National-Geschichte kann eben nicht auf den Staatskorpus von Deutschland in den Grenzen von 1990 beschränkt werden. Karl Schlögel hat das lange schon erkannt und in Büchern wie „Die Mitte liegt ostwärts” (2002) anrührend beschrieben; er sprach von einem Pompeji in den alten Reichs- und Siedlungsgebieten, das auszugraben allen Europäern, aber auch uns Deutschen, die Augen öffnen könne.

Wer hilft Franz Metz und so den deutschen Orgeln in Rumänien? Keiner. Jetzt hat immerhin der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der vielleicht im Herbst nach Berlin gehen wird, dem unermüdlichen „Hilfsbuchhalter” im Sinne von Fernando Pessoa das Bundesverdienstkreuz überreicht.

Drei Jahre hat die Prüfung gedauert. Inzwischen sind weitere Orgeln gestorben.

Auf Persönlichkeiten wie Franz Metz kommt es weiterhin an, wollen wir uns als „europäisch gewachsene Kulturnation” – wie es in § 4 des Deutsche-Welle -Gesetz heißt – nicht verlieren. Und auch Rumänien braucht Menschen wie Franz Metz, die nicht den Untergang ovidisch betrauern, sondern sich ihm entgegenstellen. Reiner Kunze wusste es in der DDR: Es geht um den Kopf. Denn: der Staat sind wir.

von: Matthias Buth

Erschienen am 29. Januar 2021 in der „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“: Rumänien – das Banat der Orgeln und die Bundeskultur