Lenau und das Posthorn – eine Zeitreise

Der Dichter des Weltschmerzes hat dem Postillon und dem Posthorn ein literarisches Denkmal gesetzt von Johann Schiller (erschienen in der Banater Post Nr. 11-12 am 15.06.2022)

Schon dem Titel entspringt die Frage: Was hat Nikolaus Lenau mit dem Posthorn zu tun? Freilich ist dieses Blechblasinstrument viel älter als die Zeit, in der Lenau lebte. Lange bevor das Posthorn entstand und die Postillons es als Dienstinstrument in Gebrauch nahmen, nutzte man im frühen Mittelalter Tierhörner als Signalinstrument. Als die Metzger zum Viehkauf fuhren, bliesen sie in Tierhörner, die von geschlachteten Rindern stammten, um zu signalisieren, dass sie Briefe auf ihrer Fahrt mitnehmen – daher die Bezeichnung Metzgerpost.

Anfang des 15. Jahrhunderts entdeckten Blechblasinstrumentenmacher eine neue Technik, das Biegen des Messingrohrs. Durch den unterschiedlichen Schmelzpunkt des Bleis und des Messingblechs wurde ein neues Verfahren möglich. Man füllte das Rohr mit flüssigem Blei und nach dessen Abkühlen wurde das Rohr mit handwerklichem Geschick in eine beliebige Form gebogen. Danach wurde die Bleimasse zum Schmelzen erhitzt und das Messingblech fein nachgearbeitet. Dieses neue Verfahren ermöglichte nun auch den Bau runder Blechblasinstrumente, wie das Posthorn.

Bereits seit dem 16. Jahrhundert trugen die Postreiter und seit der Einführung der Postkutsche im 17. Jahrhundert die Postillone ein solches Horn aus Messing bei sich, mit dem sie Abfahrt und Ankunft der Post ankündigten. Dies traf auch auf die von der Familie Taxis eingerichtete und betriebene Habsburger Post und die spätere Kaiserliche Reichspost zu. Die Familie Taxis (später Thurn und Taxis) hatte seit 1505 das Postmonopol inne, was ihr 362 Jahre lang Macht und Einfluss sicherte und fabelhaften Reichtum bescherte. Sie erreichte nicht nur eine Privilegierung für die gesamte Postbeförderung, sondern auch für das Blasen des Posthorns. Im Jahr 1507 wurde der Familie Taxis die alleinige Verwendung des Posthorns zugebilligt.

Das Posthorn stellte auch ein Hoheitszeichen dar, welches den Postillon verpflichtete, das Instrument stets bei sich zu tragen, wie eine Fahne oder Waffe. Der Gebrauch des postalischen Signalinstruments war mit außerordentlichen Rechten verbunden. Bei rechtzeitiger Signalgebung waren sämtliche Fuhrwerke auf den Poststraßen verpflichtet, den Postkutschen die Vorbeifahrt zu gewährleisten, da diese Vorrang hatten. Auch durften die Postillons die zahlreichen Schlagbäume – die durch die vielen Kleinstaaten im Reich vorhanden waren – vorzugsweise und ohne Wegzoll passieren. Sogar dem wohlbehüteten Stadttor gebot das Horn des Postillons sich zu öffnen und die Post selbst in der Nacht einzulassen, wohingegen jedes andere Gefährt unerbittlich bis zum Tagesanbruch vor den Stadtmauern warten musste. Dagegen war es bei Androhung einer Geldbuße und unter Umständen sogar einer Leibstrafe sowohl Fuhrleuten als auch Reisenden verboten, Posthörner zu führen und zu blasen.

Die musikalische Ausbildung der Postillone erfolgte unter Anleitung der älteren Kollegen anhand von Posttrompeten-Schulen, aber oft wurde auch nach dem Gehör geblasen – wie es in der Barockzeit die Hoftrompeter pflegten. Einige Signale und die Unterhaltungsstücke im Anhang der genannten Schulen stellten beachtliche Anforderungen an die Kunst des Bläsers, besonders später auf dem Ventil-Posthorn. Diese Kunst war gewiss nicht so einfach erlernbar, wie es Viktor von Scheffel (1826-1886) mit dichterischer Freiheit in seinem früher so bekannten „Trompeter von Säckingen“ (1853) darstellt. In dieser Dichtung benötigt die adelige Margarethe unter Anleitung ihres Geliebten Werner nur wenige Minuten, um auf der Trompete eine „regelrechte Fanfare“ intonieren zu können.

In der Frühzeit des Posthorns war die Signalgebung noch nicht geregelt. Es reichte, wenn der Postkutscher aus hörbarer Entfernung blies, um die Ankunft zu signalisieren. Allmählich, im 18. und zunehmend im 19. Jahrhundert, wurden Signale eingeführt, die bei einer Personenpostkutsche über die Anzahl der mitreisenden Personen und die Anzahl der Pferde Auskunft gaben.

Unmittelbar nach der Rückeroberung des Banats wurde von Graf Mercy auch die Einrichtung des Postwesens in Aussicht gestellt.  In dessen „Einrichtungsprojekt“ vom Herbst 1717 war die Erweiterung der Poststraßen nach dem Vorbild der im Reich schon bestehenden Postrouten, wie zum Beispiel jene von Belgrad über Temeswar nach Arad, sowie die Einrichtung von Gasthäusern in den Post- und Pferdewechselstationen (Cambiaturen) vorgesehen. In der im Dezember 1748 erlassenen, 17 Punkte umfassenden neuen Postordnung setzte Kaiserin Maria Theresia neue Maßstäbe für das Postwesen in den Erblanden.

Bereits 1735 wurde in Kleinbetschkerek eine Cambiatur eingerichtet. Um „die Bequemlichkeit des Publici zu befördern“, habe die Banater Landesadministration verfügt, „dass der Cambiaturist von Warjasch nach Kleinbetschkerek transferiert und auf den Pakatz eine Cambiatur errichtet werde“, heißt es in einem Schreiben des Temeswarer Verwaltungsamtes. Aus diesem geht auch die Höhe der Vergütung hervor: Der Kleinbetschkereker Cambiaturist erhielt 160 Florin, jener von Pakatz 200 Florin. Die Größe der jeweiligen Poststation war an der Anzahl der Pferde und des zugewiesenen Postfeldes erkennbar: bei sechs 6 Pferden – 12 Joch Acker und 2 Joch Wiesen; bei zehn Pferden – 24 Joch Acker und 6 Joch Wiesen; bei zwölf Pferden – 30 Joch Acker und 10 Joch Wiesen.

Die Kleinbetschkereker Poststation lag an der „alten“ Poststraße (Großjetschaer Straße), die nach Komlosch führte, und war damals eine der großen Poststationen (sie besaß 60 Joch Acker und 15 Joch Wiesen), die an den Postweg von Temeswar über Szegedin nach Ofen angeschlossen war. Dass die Poststation für das Dorf prägend war, widerspiegelt sich auch im Bereich der Sphragistik (Siegelkunde). Auf dem Kleinbetschkereker Dorfsiegel von 1831 finden sich als bildliche Darstellungen neben Weizenähren, Schilf und einem Jäger auch das Posthorn, das symbolhaft für die dortige Poststation steht, und darüber der Storch als Wappenvogel des Dorfes.

Wegen der verhältnismäßig großen Entfernung zwischen Kleinbetschkerek und Komlosch ordnete Kaiser Joseph II. im Dezember 1777 die Errichtung einer selbstständigen Poststation in Csatád/Lenauheim an.

Allmählich wurde auch im Banat das Poststraßennetz erweitert und diente außer der Briefbeförderung auch dem Personenreiseverkehr sowie dem Warentransport. Dennoch hatten etliche Banater Ortschaften, wie zum Beispiel Guttenbrunn, noch keine eigene Poststation. Adam Müllers Geburtsort erhielt eine solche erst 1868. Davor mussten Briefe in den Nachbarort Aliosch gebracht beziehungsweise dort abgeholt werden. Angeblich war diese Situation der Komitatgrenze beziehungsweise der Straßenverbindung geschuldet. Adam Müller-Guttenbrunn beschreibt diese Tatsache in seinem Roman „Meister Jakob und seine Kinder“ (Staackmann-Verlag Leipzig, 1918). Im zwölften Kapitel wird die Teilnahme einer Guttenbrunner Abordnung an den Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung des „Denkmals der Treue“ in Temeswar durch Kaiser Franz Joseph sowie deren Audienz beim Monarchen geschildert. Auf der Rückfahrt kreuzen sich ihre Wege mit der Postkutsche, was Anlass zu einem „Postgespräch“ bietet:

„Heidi, die Post! Da kam ihnen ja aus dem Tal so ein gelbes Wägelchen entgegen und blies sie mit Trara, Trara als Aufforderung an, auszuweichen. Und neben dem Postillion saß ein grimmiger Gendarm mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett. Als ob, wie vorzeiten, hinter jedem Busch ein Räuber lauere, sah das aus. Und die stolzen Bauernwagen mit den eingehängten Herrensitzen und den prallen Pferden wichen dem Wägelchen gehorsam aus. Aber wie auf Verabredung begann in allen drei Wagen jetzt das Postgespräch. Rosenthal (das ist Guttenbrunn, Anm. d. Verf.) und andere deutsche Gemeinden waren keine Poststationen, weil sie nicht an der Komitatsstraße lagen. Von weit und breit mussten die Briefe nach diesem walachischen Nest (gemeint ist Guttenbrunns Nachbarort Aliosch, Anm. d. Verf.) getragen werden, ankommende Briefe aber bekam man nur, wenn man hier danach fragte. Sie lagen oft wochenlang da. Seit hundert Jahren war das so, und niemand konnte es ändern. Wäre das nicht auch etwas für den Kaiser gewesen? Sie riefen es sich von Wagen zu Wagen zu. Schade, dass man es vergessen hatte.

Als sie jetzt langsam die letzte Anhöhe hinauffuhren, von der sie den freundlichen heimischen Kirchturm erblickten, hörten sie den Postillon hinter sich eine schöne alte Weise anstimmen. Auch er fuhr seine Anhöhe im Schritt hinauf und blies und blies… War das nicht das ‚Ännchen von Tharau‘? Der Oberlehrer sah sich um und erblickte zur Linken des musikalischen Postillons den Friedhof des Dorfes. Himmel, woran erinnerte ihn das? War das nicht ein verkörpertes Gedicht von Nikolaus Lenau, des großen Banater Dichters? Er sann in sich hinein und summte ein paar Strophen des Lenau՚schen ‚Postillon‘ (…)“.

Die Entstehung dieses Gedichts ist uns im Detail überliefert. Als Nikolaus Lenau auf einer seiner zahlreichen Reisen im Monat Mai des Jahres 1832 mit der Postkutsche von Stuttgart über Tübingen und Hechingen nach Balingen ins südliche Württemberg reiste, hielt der Postillon in Steinhofen an der Friedhofsmauer an, um seinem dort neulich beerdigten Kameraden in treuer Erinnerung auf seinem Posthorn dessen „Leiblied“ zu blasen. Es war angeblich das schon damals bekannte Lied „Der gute Kamerad“ (im Volksmund auch als „Ich hatt einen Kameraden“ bekannt). Dessen Text wurde 1809 von Ludwig Uhland unter dem Eindruck der Tiroler Freiheitskriege gedichtet, die Melodie stammt von dem württembergischen Liederkomponisten Friedrich Silcher. Auf Lenau, der öfters zu Schwermütigkeit neigte, hinterließ dieses Erlebnis einen tiefen Eindruck. Bald schon an der großen Poststation in Balingen angekommen, machte er sich sofort daran, das Erlebte in Verse zu gießen. So begann „Der Postillon“, eines der schönsten Gedichte Lenaus, Gestalt anzunehmen.

Der Balinger Dekan Christoph Friedrich Fraas, der als einziger der Mitreisenden Lenau in der Postkutsche erkannte und dem wir auch die Überlieferung dieser Begebenheit verdanken, erzählte später, dass sich Lenau sogleich nach der Ankunft in Balingen auf sein Zimmer in der „Alten Post“ begeben und sich eifrig Notizen über die Begebenheit in Steinhofen gemacht habe. Die „Alte Post“, einst Sitz der Thurn- und Taxischen Post und zu dieser Zeit der führende Gasthof in der Gegend, lag an der sogenannten Schweizer Straße (die heutige B 27 folgt ihr in großen Linien), die Jahrhunderte lang die wichtigste Fernverbindung Württembergs nach Süden und eine der ersten Straßen im Lande war, die „chaussiert“, d.h. befestigt wurde. Könige und Kaiser benutzten wiederholt die alte Poststraße, Goethe beschrieb sie einst auf seiner Reise in die Schweiz 1797.

Dekan Fraas wartete geduldig unten in der Wirtschaft auf den berühmten Lyriker. Als er zu später Abendstunde endlich erschien, wollte die Unterhaltung nicht so recht in Fluss kommen. Der Dichter zog immer wieder sein Notizbuch hervor und feilte an gut einem Dutzend Versen herum. Sie bildeten die Grundlage für sein späteres Gedicht „Der Postillon“.

Das 16 Strophen lange Gedicht erhielt seine endgültige Fassung während Lenaus Aufenthalt in Amerika. Kurz nach seiner Rückkehr nach Stuttgart veröffentlichte er es im „Morgenblatt für gebildete Stände“ (Nr. 177 vom 25. Juli 1833, Seite 7 f.). Diese Kulturzeitschrift erschien im berühmten Verlagshaus Cotta (Stuttgart/Tübingen), einem der einflussreichsten deutschen Verlage dieser Zeit. Bei Cotta war 1832 auch Lenaus erste Lyriksammlung „Gedichte“ erschienen, der zwei Jahre später eine zweite, vermehrte Auflage folgte. Diese enthielt auch das Gedicht „Der Postillon“, das bis in die neueste Zeit zu Lenaus bekanntesten Dichtungen gehört.

Die ersten Strophen enthalten eine lebendige atmosphärische Beschreibung jener lauen Frühlingsnacht, in der sich der Dichter auf einer Reise mit der Postkutsche ins südliche Württemberg befand:

Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen,
Ob der holden Frühlingspracht
Freudig hingezogen.
Schlummernd lagen Wies՚ und Hain,
Jeder Pfad verlassen,
Niemand als der Mondenschein
Wachte auf der Straßen.

Erst ab der fünften Strophe tritt der Postillon, die Hauptgestalt des Gedichts, in Erscheinung. Er hat weder ein Auge für das „blühende Revier“ noch ein Ohr für die „stillen Räume“. Ihm geht es nur darum, schnell voranzukommen:

Feld und Wald im raschen Zug
Kaum gegrüßt – gemieden,
Und vorbei wie Traumesflug
Schwand der Dörfer Frieden.

Als sich die Postkutsche dem Kirchhof in Steinhofen nähert, wird der Postillon „stiller jetzt und trüber“. Er hält die Rosse an und wendet sich an die Reisenden:

„Halten muß hier Roß und Rad,
Mag՚s euch nicht gefährden!
Drüben liegt mein Kamerad
In der kühlen Erden!
War ein herzlieber Gesell,
Herr, ՚s ist ewig Schade;
Keiner blies das Horn so hell,
Wie mein Kamerade.
Hier ich immer halten muß,
Dem dort unter՚m Rasen
Zum getreuen Brudergruß
Sein Leiblied zu blasen.“

Die Reisenden werden nun Zeuge einer ergreifenden Totenehrung des Postillons für seinen dort zur letzten Ruhe gebetteten Kameraden:

Und dem Friedhof blies er zu
Frohe Wandersänge,
Daß es in die Grabesruh
Seinem Bruder dränge.
Und des Hornes heller Ton
Klang vom Berge wieder,
Ob der todte Postillon
Stimmt՚ in seine Lieder.

Auf Lenau hinterließ diese Begebenheit einen unvergesslichen Eindruck:

Weiter ging՚s durch Feld und Hag
Mit verhängtem Zügel;
Lang mir noch im Ohre lag
Jener Klang vom Hügel.

Mit seinem Gedicht „Der Postillon“ hat Lenau dem Postkutscher, auch Postillon genannt, und dem Posthorn ein kleines dichterisches Denkmal gesetzt. Er muss von der Persönlichkeit des Postillons und seiner Blaskunst wohl sehr beeindruckt gewesen sein. Durch seine unzähligen Reisen (besonders zwischen Wien und Stuttgart, aber auch durch Württemberg), die ausschließlich mit der Postkutsche erfolgten, ist ihm das Posthorn als Reisebegleitinstrument ans Herz gewachsen.

Lenau hatte bereits in einem früheren, weniger bekannten Gedicht mit dem Titel „Das Posthorn“ die Rolle dieses Instruments in einer poetisch rührenden Weise dargestellt. Der Erstdruck des 1831 entstandenen Gedichts erfolgte in Lenaus Debütband „Gedichte“, erschienen 1832 im Cotta-Verlag Stuttgart/ Tübingen.

In der ersten Strophe ahnt man noch nicht, dass es ums Posthorn geht, es ist noch in weiter Ferne:

Still ist schon das ganze Dorf,
Alles schlafen gangen,
Auch die Vöglein im Gezweig,
Die so lieblich sangen.

Der Dichter bereitet dem Posthorn vorsichtig den Auftritt vor, in den nächsten Strophen besingt er den Mond, den Bach und bringt sich selbst ein. Erst in der sechsten Strophe lässt er das Posthorn klingen:

Ferne, leise hör’ ich dort
Eines Posthorns Klänge,
Plötzlich wird mir um das Herz
Nun noch eins so enge,
um in der zehnten Strophe sich schon von ihm zu verabschieden:
Schon verhallt des Hornes Klang
Ferne meinem Lauschen,
Und ich höre wieder nur
Hier das Bächlein rauschen.

Lenau muss wohl von diesem Blechblasinstrument und seinen Signalen sehr angetan gewesen sein, was in beiden Gedichten zum Ausdruck kommt. Obwohl das Posthorn nur fünf Naturtöne hervorbringen kann (mit einem Tonloch kann der Tonumfang etwas erweitert werden), wusste Lenau als versierter und leidenschaftlicher Geiger die Kunstfertigkeit der Postillone zu schätzen. Er erlebte auf seinen Reisen verschiedene Postillone und erkannte dank seiner Musikalität jeden einzelnen an der Art des Blasens.

An dieser Stelle ein kleiner persönlicher Einschub: Anlässlich des 200. Geburtstags des Dichters konnte ich als Teilnehmer eines internationalen Symposiums des Deutschen Literaturarchivs Marbach bei einer anschließenden Exkursion der Lenau-Stätten in Weinsberg auch Justinus Kerners (1786-1862) Gartenhaus besichtigen, wo Lenau oft bis in die Nacht hinein das Geigenspiel pflegte. Die Klänge waren mit ein bisschen Fantasie noch greifbar. Lenau, der in Württemberg eine zweite Heimat gefunden hatte, wurde im schwäbischen Dichterkreis um Justinus Kerner enthusiastisch aufgenommen: „Niembsch ist freilich ein großer neuer Genius. Er versprach herzukommen, und dann musst Du auch kommen. Ihr könnt im Alexanderhäuschen im großen Garten wohnen, das drei Piecen hat, die man einheizen kann“, schrieb Kerner an Karl Mayer (1786-1870) im Januar 1832. Seinen Namen „Alexanderhäuschen“ erhielt das romantische Gartenhaus nach Alexander Graf von Württemberg (1801-1844), der ebenfalls dem Dichterkreis angehörte. Auch in dessen Schloss Serach bei Esslingen war Lenau ein gern gesehener Gast, zumal der Graf sein feurigster Verehrer war und mit ihm Weltschmerz und Schwermut teilte. Unweit des Schlosses, in der Lenauanlage, steht seit 1903 eines der größten Lenau-Denkmäler, ähnlich denen in Lenauheim und im Schillerpark in Wien. Das Denkmal mit der Büste Lenaus auf einem Steinpostament ist ein Werk des Stuttgarter Bildhauers Emil Kiemlen (1869-1956).

Man kann die Tonerzeugung auf dem ventillosen Posthorn, das mit Tonlöchern versehen ist, auch mit der Flugfähigkeit der Hummel vergleichen: Sie kann wegen des Verhältnisses der Körpergröße zu den Flügeln nur eingeschränkt fliegen, aber trotzdem fliegt sie. Freilich erfordert die Blastechnik einen versierten Posthornbläser, der mit einer geübten Ansatztechnik das Instrument zu bedienen vermag.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen auch Posthörner mit zwei oder sogar drei Tonlöchern auf – ähnlich den Naturtrompeten und Naturwaldhörnern. Nach der Erfindung des Ventilsystems (Dreh- beziehungsweise Pumpventile) um 1814, dauerte es nicht lange, bis auch das Posthorn mit Ventilen ausgestattet wurde. So konnten auch die Posthornbläser den ganzen Tonumfang im Ambitus dieses Instruments melodisch spielen beziehungsweise Lieder vortragen.

Das Instrument fand allmählich auch Eingang in die Kunstmusik. Zahlreiche Komponisten schrieben auch für das Posthorn. Leopold Mozart (1719-1787) komponierte eine Postsinfonie. Sein Sohn Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) nahm sich ebenfalls des Posthorns an und schrieb 1779 die sogenannte Posthorn-Serenade (Serenade für Orchester No. 9 in D-Dur), in welcher er eine der schönsten Melodien erklingen lässt, die jemals für das Naturposthorn komponiert wurden. In einer Sinfonie von Michael Haydn (1737-1806) findet sich im Trio des Menuetts ein Posthornsolo. Ludwig van Beethoven (1777-1827) komponierte 1795 Zwölf Deutsche Tänze für Orchester für die Redoute (Maskenball) der Pensionsgesellschaft bildender Künstler Wiens. Der zwölfte Tanz endet mit einer Coda als virtuosem Posthornsolo.

Mit der Erfindung der Ventile folgten weitere Komponisten dem Beispiel Mozarts und Beethovens, so Gustav Mahler (1860-1911). In seiner 3. Sinfonie in d-Moll ist im dritten Satz in einem ersten langen Trio ein Posthornsolo zu hören, und auch im zweiten Trio erklingt dieses Instrument.

Im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik, entstanden etliche Vertonungen von Gedichten, unter anderem auch zwei Vertonungen von Lenaus Gedicht „Der Postillon“: zum einen von dem in Wien tätigen Theaterkapellmeister und Komponisten Adolf Müller (1801-1886) für Sopran, Klavier und obligates Posthorn (op. 44, 1841), zum anderen von Heinrich Weidt (1824-1901), der von 1867 bis 1872 als Kapellmeister und Opernkomponist in Temeswar wirkte, für Männerquartett mit obligatem Posthornsolo (op. 69).

Zu Nikolaus Lenaus 220. Geburtstag habe ich beide Gedichte, „Der Postillon“ und „Das Posthorn“, für Erzähler, Rezitator und Posthorn eingerichtet. Die Uraufführung fand am 29. Mai dieses Jahres als Gedenkfeier am Lenau-Brunnen in Steinhofen statt.

Hier in Steinhofen, einem Ortsteil der Gemeinde Bisingen, erhielt Lenau die Inspiration zu seinem Gedicht „Der Postillon“. Das von ihm aufgegriffene Motiv zieht sich durch die jüngere Geschichte Steinhofens. Ein Steinrelief, auf dem die Postkutsche mit dem das Posthorn blasenden Postillon dargestellt ist, umrahmt von den Versen der zwölften Strophe aus Lenaus „Postillon“ („Halten muß hier Roß und Rad! / Mag’s euch nicht gefährden: / Drüben liegt mein Kamerad / In der kühlen Erden!“) zierte ab 1922 das Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das bis 1956 vor der Steinhofener Kirche stand. Danach wurde es ersetzt durch das heutige Kriegerdenkmal für die Toten beider Weltkriege. Als selbstständiges Lenaudenkmal hängt das Relief heute am Fuß des Kirchhügels. Die Steinhofener widmeten Lenau ein weiteres Denkmal: 1981 wurde die von dem Tuttlinger Bildhauer Roland Martin geschaffene Bronzefigur „Der Postillon“ am Lenau-Brunnen eingeweiht.