Lenauheim vor 600 Jahren urkundlich erwähnt

Seit einigen Jahren fallen dem Besucher in Lenauheim einige im Vorgarten des Lenau- und Heimatmuseums wehende Flaggen auf. Eine ist beschriftet mit 1415, die anderen sind die Staatsflaggen von Rumänien, Deutschland und Österreich sowie die Europafahne. Sie sollen den Fremden zum einen darauf aufmerksam machen, dass der Ort seit 1415 von Menschen bewohnt ist, und zum anderen auf die gute Zusammenarbeit mit Menschen aus Deutschland, Österreich und ganz Europa hinweisen.

Lenau- und Heimat-Museum mit Beflaggung
Lenau- und Heimat-Museum mit Beflaggung

Wahrhaftig ist das so seit der Wende 1989 und nicht nur seit dann. Beziehungen gab es auch schon davor, nach 1989 sind neue entstanden oder wurden bestehende ausgebaut, sodass Lenauheim heute als eine weltoffene Gemeinde wahrgenommen wird, die durch vielfältige Beziehungen in das vereinte Europa eingebunden ist.

Menschliche Siedlung soll es auf diesem Fleck Erde schon seit spätestens 1415, also seit 600 Jahren geben. Aus alten Geschichtsbüchern erfährt man, dass es einen Ort Csatád bereits im Mittelalter gegeben hat. Die Ortsbezeichnung stammt von dem damals häufig vorkommenden Personennamen Csata (+ ung. Ortssuffix). Ein gewisser Csata muss also der Gründer oder erste Besitzer des Ortes gewesen sein. Urkundlich wird dieser zuerst 1415 mit seinem Besitzer Mathias de Chathad erwähnt. Die Siedlung gehörte damals zum Temescher Komitat. Die Csatáds blieben nicht lange im Besitz des Ortes.

Schon vor 1470 besaß ihn Blasius Száti. Der ungarische König überließ am 12. Mai 1470 Csatád der mächtigen Adelsfamilie Dóczi, die zwei Jahre später auch den Szátischen Besitzanteil erwarb. Durch die fortwährenden Türkeneinfälle verfiel der Ort und wurde schon 1482 nur mehr als Prädium (Puszta) angeführt. 1484 fiel ein weiterer Teil dieser Puszta, der bislang Andreas de Köcse (Ketscha) gehörte, an die Dóczis. Am 8. März 1520 gab Franz Dóczi einen Teil der Puszta an Nikolaus de Maczedonia um 2000 Gulden in Pacht.

In der Türkenzeit (1552 – 1716) wird Csatád nicht mehr erwähnt. Der heutige Ort entstand 1767, während der theresianischen Kolonisation des Banats. Nach einem Zwischenstopp in Hatzfeld konnten die Kolonisten im April 1767 in Csatád (Tschatad, mundartlich Schaddat) in die 202 neu errichteten Wohnhäuser einziehen. Sie kamen fast alle, den Kirchenbüchern zufolge, aus deutschen Landen, und sie waren katholisch. Nur ein kleiner Prozentsatz gehörte anderen Nationen an. Die Menschen haben sich, wie man heute sagen würde, gut integriert und bildeten nach und nach eine geschlossene deutsche Gemeinschaft. Diese blieb – unberührt von den wechselnden Machtkonstellationen – bis 1944 erhalten. Die Andersnationalen machten nur 1-2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Menschen lebten von der Landwirtschaft, waren gläubig und verstanden sich untereinander. Das Dorf Csatád veränderte sich im Laufe der Zeit, es wuchs bevölkerungs- und flächenmäßig und besaß gewisse Bedeutung als Sitz eines Kreisamtes und als Poststation.

Der Anschluss an Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg – als die Ortschaft ihren heutigen Namen Lenauheim erhielt – sollte unseren Vorfahren neue Impulse für den Alltag geben. Sie fühlten wieder mehr deutsch und wirtschaftlich erlebten sie eine Blütezeit. Dies brachte der Ortsbevölkerung auch einen gewissen Wohlstand. Das Kulturelle rückte stärker in den Mittelpunkt, der Bildung der jungen Menschen wurde größere Bedeutung beigemessen. Die dörfliche Gesellschaft begann sich zu öffnen. Doch schon nach gut zwei Jahrzehnten wurde diese friedliebende Gesellschaft – mit ihrem Zutun, zum Teil auch gegen ihren Willen – in die Wirren des Zweiten Weltkrieges mit hineingezogen. Die Kriegsteilnahme sollte für die Dorfbewohner schwere Folgen haben. Die Männer zogen an die Front, und nicht wenige mussten dort ihr Leben lassen. Die daheim gebliebenen arbeitsfähigen Männer und Frauen wurden dann im Januar 1945 zur Wiederaufbauarbeit in die damalige Sowjetunion deportiert. Viele Kinder standen elternlos da. Sie wurden zwar von den Großeltern aufgenommen, doch das Trauma blieb.

In der Nachkriegszeit hat sich eine andere Gesellschaftsordnung etabliert. Mittlerweile war ein Teil der Bewohner, die im Herbst 1944 geflüchtet oder aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren, im Westen geblieben. Ein Teil befand sich noch in Russland. Kaum zwei Jahre nach der Heimkehr der letzten Deportierten wurde ein Teil der Bevölkerung in die Bărăgan-Steppe verschleppt. Im Ort wurden staatlicherseits rumänische Kolonisten angesiedelt, die den neuen Machthabern Handlangerdienste leisten sollten. Das taten dann doch nur einige. In ihrer großen Mehrheit waren es arme, anständige Menschen, die selbst ums Überleben kämpfen mussten. Später verstärkte sich der Zuzug von Rumänen. Die ethnischen Gemeinschaften lebten eher nebeneinander als miteinander. Die Zeit heilte langsam die Wunden und nach der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft auf Anordnung von oben durften am Anfang nur auserlesene Deutsche, später aber fast alle am Aufbau der „neuen Ordnung“ mithelfen. Es wurden Mischehen geschlossen, und die Menschen kamen sich nach und nach näher.

In den siebziger Jahren begann dann die Familienzusammenführung, der Ausreisewunsch wurde immer stärker. Das war auch der Beginn des großen Ausverkaufs der deutschen Bevölkerung durch den kommunistischen Staat bzw. des Freikaufs durch die Bundesrepublik Deutschland. Den im Banat verbliebenen Landsleuten ging es bis zur Wende 1989 mehr schlecht als recht. Nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur kam es zum Exodus der Deutschen aus Rumänien. Binnen weniger Monate verließen fast alle ihre Heimatorte, und natürlich war auch Lenauheim von dieser großen Auswanderungswelle betroffen. In der Folge begann eine Zuwanderung von Menschen aus verschiedenen Landesteilen nach Lenauheim, wobei viele Mühe hatten, sich dort zurechtzufinden und Fuß zu fassen. Während die einen wieder gingen, zogen andere nach.

Heute, nach 25 Jahren, kann man sagen, dass sich wieder eine funktionierende Gemeinschaft herausgebildet hat. Es ist heute eine rumänische Gemeinschaft mit einem geringen Anteil von Bürgern anderer Nationalitäten, darunter noch 30 Deutsche. Wir, ein Teil derer, die die Heimat verlassen haben, pflegen auch heute noch Kontakte zu Lenauheim, überwiegend über unsere neue Gemeinschaft in Deutschland, die Heimatortsgemeinschaft Lenauheim. Wir haben gute Beziehungen zum Bürgermeisteramt, zum Pfarramt, zu den verbliebenen Deutschen und auch zu vielen heutigen Bürgern der Gemeinde.

Das Rad der Geschichte dreht sich weiter, der Ort bleibt und verändert sich immer wieder. Das Leben der Menschen ist vergänglich, und sie waren alle nur Gast in diesem Ort, egal welcher Nationalität oder politischen Richtung sie angehörten. Sie alle liegen auf dem Friedhof an der Südseite des Ortes, der vor 600 Jahren zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde – auf dem Friedhof, den wir im Gedenken an sie pflegen und hegen.