Vor 170 Jahren starb der Dichter Nikolaus Lenau

„Ein unsteter Mensch auf Erden“ – Den Vers schrieb ein von Gott begnadeter Dichter, der aber sein kurzes Erdendasein lang auch ein überaus unglücklicher Mensch war: Am 22. August sind es 170 Jahre seit dem Tod von Nikolaus Lenau. Der Dichter starb am 22. August 1850 in der österreichischen Irrenanstalt Oberdöbling.

1844, als Lenau noch fieberhaft an seinem „Don Juan“ arbeitete, verfiel er, mitten in den Vorbereitungen zu seiner Hochzeit mit Mane Behrends, in geistige Umnachtung und wurde in die Nervenheilanstalt Winnental bei Stuttgart eingeliefert. Im Mai 1847 wurde er auf Wunsch der Familie in die Irrenanstalt Oberdöbling bei Wien verlegt. Er starb hier nach drei Jahren in geistiger Umnachtung, wie fast ein halbes Jahrhundert später 1889 der rumänische Nationaldichter Mihai Eminescu. Beigesetzt wurde Lenau auf dem Friedhof in Weidling.

Der Spätromantiker gilt als bedeutendster österreichischer Lyriker des 19. Jahrhunderts, als Dichter des Weltschmerzes, des Biedermeier und wichtiger Vertreter der Naturlyrik. Sein wertvolles geistiges Erbe wird heute weiterhin nicht nur von der österreichischen Kultur und Literatur beansprucht, sondern auch von der ungarischen. Und nicht zu vergessen: Nikolaus Lenau, eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau, geboren am 13. August 1802 in Csatad, im Banater
Komitat Torontal, damals im Königreich Ungarn, zählt mit Recht, neben Adam Müller Guttenbrunn, Stefan Jäger oder Franz Ferch zu den großen Identifikationsfiguren der Banater Schwaben. Lenau erblickte in Tschadad (die Lenauheimer, fast restlos ausgewandert, nennen sich heute noch gerne Schaddader) das Licht der Welt, als Sohn des k.u.k. Beamten Franz Niembsch (verfiel der Spielsucht, starb 1807 und ließ die Familie verarmt zurück) und der Therese Niembsch, geb. Maygraber. Sein Geburtshaus war das 1775 erbaute Kameralhaus (Rentamt), das heute nicht nur als Lenau- Gedenkstätte sondern auch als Heimatmuseum der Banater Schwaben zu besuchen ist. Lenau weilte nur die ersten vier Lebensjahre in seinem Heimatort. Und Lenau, der sich selbst als “unstäten Menschen auf Erden“ bezeichnen sollte, war niemals mehr an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt.

Lenaudenkmal in der Banater Gemeinde (Zoltan Pazmany)
Lenaudenkmal in der Banater Gemeinde (Zoltan Pazmany)

Doch der Ort und dieser Landstrich der Banater Heide sollen in seinen Gedichten einen Ehrenplatz erhalten und verewigt bleiben. Tschatad, 1767 gegründet in der theresianischen Ansiedlungsperiode, erhielt in den 20ger Jahren, schon in Großrumänien, zu Ehren seines großen Sohnes den Namen Lenauheim. Eine eindrucksvolle erste Strophe seines Gedichts „Einst und Jetzt“, oft zitiert, ist heute für die Nachkommen in deutscher, rumänischer und ungarischer Sprache auf dem 1905 in der Mitte seines Geburtsorts eingeweihten Denkmal zu lesen:

Möchte wieder in die Gegend,
Wo ich einst so selig war,
Wo ich lebte, wo ich träumte
Meiner Jugend schönstes Jahr!

Die Familie des kleinen Franz kam über Alt-Ofen, nach Tokaj und Stockerau bei Wien (die Stadt nennt sich heute Lenau-Stadt). Lenau begann ein Studium der Landwirtschaft, dann ein Studium der Philosophie und der Medizin in Wien, Pressburg, ab 1832 in Heidelberg. 1831 erschienen seine Gedichte schon bei
Cotta unter dem Pseudonym „Lenau“. Da war er schon in bester Gesellschaft in Württemberg, im Freundes- und Dichterkreis von Uhland, Schwab und Mörike. 1832 zog es ihn nach Amerika, dem Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten, wie er wie viele dachte. Er schrieb voller Hoffnungen in seinem Gedicht „Abschied. Lied eines Auswandernden“ 1832: „Du neue Welt, du freie Welt / Ich grüße dich, mein Vaterland.“ Er schwärmte für die Indianer, die Niagara-Fälle, widmete der neuen Welt begeisterte romantische Gedichte. Er kaufte gar 400 Morgen Land in Ohio, ein echter Farmer wurde er jedoch nicht. Er verließ Amerika völlig enttäuscht (seinem Freund Justinus Kerner gegenüber nannte er Amerika „die verschweinten Staaten von Amerika) schon 1833.

Mit Freude entdeckte er dann zu Hause (teilweise in Stuttgart und Wien), dass er in seiner Abwesenheit durch seine Gedichte zu einem gefeierten Dichter geworden
war. Seine „Schilflieder“ erschienen 1832, 1838 seine „Neueren Gedichte“, 1844 kurz vor seinem Tode seine „Waldlieder“. Mit seinen meist melancholischen Gedichten, das den wertvollen Kern seines Schaffens ausmachte, gilt er als typischer Vertreter des Weltschmerzes in der deutschsprachigen Literatur überhaupt und brachte einen neuen Ton in die Lyrik des 19. Jahrhunderts. Er gehört wohl zu den am meisten vertonten Dichter: Liszt, Schumann, Richard Strauß und andere bedeutende Musiker vertonten seine Dichtungen.

Der Literaturhistoriker Fritz Martini wies auf seine lebenslange geradezu metaphysische Sehnsucht hin: „Nirgends fand Nikolaus Lenau eine Heimat. Sein Weltschmerz und seine Zerrissenheit steigerten sich bis zum Wahnsinn.“

Seine große Bedeutung als Dichter hatten schon zu seinen Lebzeiten und bis heute viele Dichter und Schriftsteller entdeckt. So schrieb A.M. Guttenbrunn eine Romantrilogie über ihn, aus der rumäniendeutschen Literatur widmeten dem großen
Dichter des Weltschmerzes u.a. die Banater Autoren Franz Liebhard (Sonettenzyklus
„Gedichte um Lenau“ 1952) und Richard Wagner einfühlsame Gedichte.

Balthasar Waitz

Heimatmuseum in Lenauheim (Zoltan Pazmany)
Heimatmuseum in Lenauheim (Zoltan Pazmany)
Nikolaus Lenau
Einst und jetzt

„Möchte wieder in die Gegend,
Wo ich einst so selig war,
Wo ich lebte, wo ich träumte
Meiner Jugend schönstes Jahr!“

Also sehnt ich in der Ferne
Nach der Heimat mich zurück,
Wähnend, in der alten Gegend
Finde sich das alte Glück.

Endlich ward mir nun beschieden
Wiederkehr ins traute Tal;
Doch es ist dem Heimgekehrten
Nicht zumut wie dazumal.

Wie man grüßet alte Freunde,
Grüß ich manchen lieben Ort;
Doch im Herzen wird so schwer mir,
Denn mein Liebstes ist ja fort.

Immer schleicht sich noch der Pfad hin
Durch das dunkle Waldrevier;
Doch er führt die Mutter abends
Nimmermehr entgegen mir.

Mögen deine Grüße rauschen
Vom Gestein, du trauter Bach;
Doch der Freund ist mir verloren,
Der in dein Gemurmel sprach.

Baum, wo sind die Nachtigallen,
Die hier sangen einst so süß?
Und wo, Wiese, deine Blumen,
Die mir Rosa sinnend wies?

Blumen fort und Nachtigallen
Und das gute Mädchen auch!
Meine Jugend fort mit ihnen;
Alles wie ein Frühlingshauch.

 

Franz Liebhard
Das Geburtshaus

Da steht der alte Bau noch mit der breiten
Gewölbten Einfahrt und dem schweren Tor.
Der Herrschafts-Vogt saß hier zu jenen Zeiten,
Als der Plajasch die Untertanen schor.
Der Zehent bot den Herren Herrlichkeiten,
Indes der Bauern Herz im Kummer fror,
Als lebten sie auf ewiglich verschneiten
Gefilden, angekrächzt vom Rabenchor.
Die Schreiber schrieben voll die Folianten;
Verschlang die Fron auch Hirn und Herz und Bein,
Der Herr war gottgroß und der Bauer klein.
Das Wimmern eines in den Stock Gespannten
Trug draußen fort der heiße Sommerwind.
Im Haus schlief ein neugebornes Kind.

 

Richard Wagner
Mit Lenau

Die Sängerin, die gescheiterte
Singt die Schilflieder im Boot.
Mein Vater, der große Ruderer,
rudert sie über das Wasser
der Marosch.

Dieser Artikel erschien am 19. August 2020 in der „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien / Banater Zeitung“ auf Seite III (Kultur).