Ohne Vater aufgewachsen

Johann Taugner aus Lenauheim fiel schon kurz nach dem Eintritt Rumäniens in den Krieg gegen die Sowjetunion. Eine Aufarbeitung verfasst von Werner Griebel und Walter Tonţa.

Am 22. Juni 1941 überfiel Nazi-Deutschland die Sowjetunion. Unter dem Decknamen „Barbarossa“ war die Blitzkrieg-Offensive im Osten vom NS-Regime sorgfältig geplant worden. 3,3 Millionen deutsche und verbündete Soldaten, unterstützt von Artillerie, Luftwaffe und Panzern, griffen auf breiter Front zwischen Ostsee und Schwarzem Meer an. Damit begann die blutigste Phase des Zweiten Weltkriegs.

Im südlichsten Abschnitt der Ostfront drangen mit der Wehrmacht auch zwei rumänische Armeen auf sowjetisches Territorium vor – insgesamt etwa 600000 Soldaten. Für Rumäniens Diktator Ion Antonescu war dies die ersehnte Stunde der Revanche: Der mit harter Hand regierende General wollte schleunigst die Landstriche Bessarabien und Nordbukowina zurückerobern, die Bukarest ein Jahr zuvor nach einem Ultimatum an die Sowjetunion abtreten musste. Im Glauben an Hitlers kurz bevorstehenden Sieg hatte Antonescu sein Land an das Deutsche Reich gekettet. In einer Proklamation ordnete er in der Nacht zum 22. Juni 1941 an: „Soldaten! Ich befehle euch, überschreitet den Pruth. Zerschmettert den Feind im Osten und Norden. Befreit unsere geknechteten Brüder
vom roten Joch des Bolschewismus.“

Am Pruth, dem Grenzfluss zwischen Rumänien und Bessarabien, standen (von Nord nach Süd) die rumänische 3. Armee, die deutsche 11. Armee sowie die rumänische 4. Armee. Diese drei Armeen bildeten die Heeresgruppe Antonescu, die ihrerseits der Heeresgruppe Süd unter dem Kommando des Feldmarschalls Gerd von Rundstedt unterstand. Zunächst herrschte noch Ruhe am Pruth. Die Truppen beschränkten sich im Wesentlichen darauf, Brückenköpfe über den Fluss zu bilden und gegen sowjetische Gegenangriffe zu verteidigen. Am 2. Juli setzte dann auch an diesem Frontabschnitt die Offensive planmäßig ein. An der gemeinsamen deutsch-rumänischen Militäroperation, die den Decknamen „Unternehmen München“ (rumänisch „Operaţiunea München“) trug, waren 13 rumänische Divisionen und 7 deutschen Divisionen beteiligt. Während die 3. Armee im
Verband mit der deutschen 11. Armee vorrückte, erkämpfte sich die 4. Armee eigenständig ihren Weg.

Unter den Soldaten des rumänischen Heeres, die im Vorfeld des „Unternehmens München“ in die Moldau verlegt wurden, um dort zum Kampfeinsatz zu kommen, befand sich auch der Lenauheimer Johann Taugner, Jahrgang 1910. Er hatte seinen Militärdienst beim Garderegiment „Mihai Viteazul“ in Bukarest abgeleistet – ein Foto aus Familienbesitz zeigt ihn zusammen mit zwei anderen Banater Schwaben in der blauen Uniform des Regiments – und wurde 1941 eingezogen. Der junge Mann ließ in Lenauheim seine 28-jährige Frau Katharina und zwei kleine Kinder zurück. Die Tochter Anna war damals vier und der Sohn Hans etwas über zwei Jahre alt.

Drei Banater Schwaben in der Uniform des Garderegiments „Mihai Viteazul“ (von rechts): Johann Taugner aus Lenauheim, Franz Hell aus Sanktanna und Heinrich Krämer aus Deutschsanktmichael. Die Aufnahme entstand 1940 in Bukarest. (Foto im Besitz von Hans Taugner)

Das Garderegiment „Mihai Viteazul“ zählt zu den traditionsreichen militärischen Einheiten Rumäniens. Seine Anfänge reichen bis ins Jahr 1860 zurück, also noch in die Regierungszeit des Fürsten Alexandru Ioan Cuza. Es trug im Laufe der Zeit verschiedene Bezeichnungen und hatte die Aufgabe, die Wache des Königspalastes und des Kriegsministeriums zu sichern. Außerdem wurde es für repräsentative Zwecke bei Militärzeremonien eingesetzt. In Kriegszeiten kam das Garderegiment an der Front zum Einsatz, so auch während des Zweiten Weltkrieges. Im Juni 1941 war das Garderegiment
„Mihai Viteazul“ der 1. Gardedivision untergeordnet, die zusammen mit der 21. Infanterie-Division das V. Armeekorps bildete. Dieses gehörte seinerseits zusammen mit drei weiteren Großverbänden des Heeres zur rumänischen 4. Armee, die unter dem Kommando des Generals Nicolae Ciupercă stand. Die 4. Armee war im Frontabschnitt südlich von Jassy bis zur Mündung des Pruth in die Donau eingesetzt.

Die Offensive der Heeresgruppe Antonescu begann, wie schon erwähnt, am 2. Juli. Die 4. Armee sollte den Pruth bei Fălciu-Bogdăneşti überschreiten und die Offensive in Richtung Chişinău-Dubăsari beziehungsweise Tighina (Bender) entwickeln, mit dem Ziel, den Dnjestr und das Schwarzmeerufer zu erreichen. Beim Versuch, die Frontlinie bei Fălciu-Bogdăneşti zu durchbrechen und das stark befestigte Gebiet jenseits des Pruth mit dem Zentrum in der Ortschaft Ţiganca zu erobern, kam es zu schweren Kämpfen. Diesem Frontsektor kam wegen seiner Lage am mittleren Lauf des Pruth, der Straßen- und der Eisenbahnbrücke, die hier über den Fluss führten, und der Kreuzung wichtiger Verkehrswege aus Mittel- und Südostbessarabien jenseits des Flusses eine besondere Bedeutung zu. Erschwerend wirkte sich auf die Offensive einerseits die Geländebeschaffenheit aus: Auf bessarabischer Seite dehnte sich im Tal des Tigheci eine Flussniederung aus, an die sich mehrere Hügel reihten. Die gesamte Gegend verfügte über starke Befestigungslinien. Andererseits wurde der Vormarsch der rumänischen Truppen durch tagelange starke Regenfälle behindert.

Die erbitterten Kämpfe, die in dieser Gegend vom 2. bis 15. Juli geführt wurden, sind unter der Bezeichnung „Die Schlacht von Fălciu/Ţiganca“ bekannt. Als erste überschritt die Gardedivision den Pruth. Sie hatte die Mission, den Brückenkopf bei Fălciu-Bogdăneşti zu halten. Nachdem sie schon bei der Flussüberquerung auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen war, wurde ihr Vormarsch durch den heftigen Widerstand der sowjetischen Truppen auf dem Hügel Epureni und in der Nähe der Dörfer Stoeneşti und Ţiganca gestoppt. Zur Unterstützung der Gardedivision wurde auch die 21. Infanterie-Division ins Kampfgebiet verlegt. Die verbissenen Kämpfe hielten noch tagelang an und forderten einen hohen Blutzoll: Die Gardedivision hatte 2473, die 21. Infanterie-Division 6222 Opfer zu beklagen. Das Garderegiment „Mihai Viteazul“ verlor 793 Soldaten (156 Gefallene, 66 Vermisste, 571 Verletzte). Selbst der Regimentskommandant Oberstleutnant Gheorghe Iliescu ließ sein Leben auf dem Schlachtfeld.

Unter den vielen Opfern, die das Garderegiment zu beklagen hatte, befand sich auch Johann Taugner. Die Todesnachricht erreichte seine Frau Katharina in Lenauheim am 21. August 1941. Überbracht wurde sie ihr mittels einer auf den 14. August datierten Militärpostkarte, auf der folgendes stand: „Zu Ihrer Kenntnisnahme teilen wir Ihnen mit Bedauern mit, dass der Soldat Taugner Johann aus diesem Regiment in Erfüllung seiner Pflicht auf dem Feld der Ehre am 5. Juli 1941 bei den Kämpfen von Fălciu gestorben ist. Er wurde im „Tal der Tränen“ (Valea Plângerii) bei Fălciu beerdigt.“ Gezeichnet war die Mitteilung vom Stellvertreter des Regimentskommandanten, Leutnant Gheorghe Petrescu.

Mittels Militärpostkarte benachrichtigte das Garderegiment „Mihai Viteazul“ Katharina Taugner vom Soldatentod ihres Mannes Johann Taugner, der am 5. Juli 1941 in den Kämpfen von Fălciu gefallen ist. (Postkarte im Besitz von Hans Taugner)

Was muss wohl in der jungen Frau vorgegangen sein, als sie diese niederschmetternde Nachricht las? Sicherlich empfand sie Trauer und Schmerz über den erlittenen Verlust und machte sich Gedanken darüber, wie es weitergehen soll. Der Blick in die Zukunft verhieß nichts Gutes. Katharina Taugner war nun als Witwe auf sich allein gestellt, sie musste für sich und ihre beiden Kinder sorgen und die Herausforderungen, die das Leben an sie stellte, meistern. Sicherlich machte sie sich in jenen Momenten Sorgen vor allem um
Tochter Anna und Sohn Hans, die nun Halbwaisen waren und ohne Vater aufwachsen mussten. Da sie noch sehr jung waren, als sie ihren Vater zum letzten Mal gesehen haben, hatten sie kaum Erinnerungen an ihn. Diese Verlusterfahrungen prägten fortan das Leben der Familie und beschäftigen den mittlerweile 83-jährigen Hans Taugner noch heute.

Der Zweite Weltkrieg brachte millionenfaches Leid über die Menschheit, auch über abertausende banatschwäbische Familien. Das Schicksal von Johann Taugner und der hinterbliebenen Angehörigen kann dafür beispielhaft stehen. Johann Taugner starb den Soldatentod vor achtzig Jahren – für uns Anlass, seiner zu gedenken und an das schwere Los der Kriegswitwen und Halbwaisen zu erinnern, die das Kriegselend hinterlassen hat. Gedenken und Erinnern bedeutet zugleich, Lehren aus der Geschichte zu ziehen,  Verantwortung im Hier und Heute zu tragen und alles dafür zu tun, damit solche Tragödien sich nicht wiederholen.

Erinnern und mahnen wollen auch das von der Gemeinde Fălciu (Kreis Vaslui) errichtete und am 23. Juni 2018 eingeweihte Denkmal für die über 10 000 Opfer der Schlacht von Fălciu/Ţiganca sowie der im Jahr 2006 wiederhergestellte rumänische Soldatenfriedhof in dem Dorf Ţiganca in Moldawien, drei Kilometer östlich des Pruth, wo 1020 Gefallene in neun Massengräbern ihre letzte Ruhe gefunden haben. Letzteres Projekt war vom Nationalen Amt zur Pflege des Heldenkults (Oficiul Naţional pentru Cultul Eroilor), eine dem rumänischen Verteidigungsministerium untergeordnete Behörde, verwirklicht worden. Am Eingang zu dem 700 Quadratmeter großen Friedhof sind auf zehn Gedenktafeln die Namen von 830 identifizierten Gefallenen eingraviert.

Seit 2018 steht in der Gemeinde Fălciu im Kreis Vaslui ein Denkmal für die über 10000 Opfer der Schlacht von Fălciu/Ţiganca, die in dieser Gegend im Juli 1941 tobte. (Quelle: https://www.facebook.com/F%C4%83lciu-114369257020402/photos/131911661932828/)

Vorliegender Beitrag ist auf neue Erkenntnisse zurückzuführen, die sich nach der Veröffentlichung des Artikels „Acht Wochen nach seinem 16. Geburtstag gefallen. Josef Stein war das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs in Lenauheim“ hier und in der „Banater Post“, Nr. 7 vom 5. April 2021 ergeben haben. Gegenstand des Artikels war das tragische Schicksal des jungen Lenauheimers Josef Stein (geboren 1925), der sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte und am 8. November 1941 an der Murmansk-Front in Karelien gefallen ist. Die Annahme, dass er der erste Kriegstote der Gemeinde Lenauheim gewesen sei, muss nun aufgrund des Hinweises unseres Landsmanns Hans Taugner korrigiert werden. Dessen Vater Johann Taugner war bereits vier Monate zuvor gefallen, kaum zwei Wochen nach dem Eintritt Rumäniens an der Seite des Dritten Reiches in den Krieg gegen die Sowjetunion. Ob nun der eine auf rumänischer Seite und der andere auf deutscher Seite als erster Lenauheimer gefallen ist – beide ereilte das gleiche Schicksal. Und in beiden Fällen blieben Angehörige fassungslos zurück. Das Leid war da wie dort groß.

Was den weiteren Kriegsverlauf anbelangt sei vermerkt, dass die „Operation München“ am 26. Juli 1941 mit der Besetzung Bessarabiens und der Nordbukowina endete. Rumänien hatte seine Kriegsziele erreicht und seine frühere Ostgrenze am Dnjestr wieder hergestellt. „Der Kampf um die Befreiung des rumänischen Bodens im Osten ist beendet. Von den Karpaten bis zum Meer sind wir wieder Herren unserer Grenzen“ – hieß es im Heeresbericht. Die Gesamtverluste der rumänischen Truppen während der Kämpfe zur Rückeroberung Bessarabiens und der nördlichen Bukowina betrugen 22765 Menschen (4271 Gefallene, 6168 Vermisste und 12326 Verletzte).

General (seit dem 23. August 1941 Marschall) Ion Antonescu setzte den Marsch nach Osten an der Seite seines Verbündeten Hitler fort. „Es war eine entscheidende  Weichenstellung, als Rumänien unfreiwillig und freiwillig den Krieg fortsetzte – unfreiwillig, weil Druck von deutscher Seite dahinterstand; freiwillig, weil Antonescu weiterhin berechnend auf Nord-Siebenbürgen blickte und sich außerdem die Aussicht eröffnete, zusätzliche Gebiete im Osten besetzen zu können“, schreibt der Historiker Ekkehard Völkl. Für Rumänien endete diese Entscheidung mit einer weiteren Katastrophe.

Verfasst von Werner Griebel und Walter Tonţa