Ostermorgen

Eine Ostergeschichte möchte ich erzählen von Donauschwaben, aus der Zeit, da sie noch daheim auf ihren Höfen und in ihren Häusern saßen, da ihre Stirnen noch nicht so sorgendurchfurcht und ihre Blicke noch nicht so schmerzumdunkelt waren, wie heute.

Sie konnten sich damals noch unbeschwert erfreuen an der Schönheit der Blumen, die vor ihren Häusern in den Gärten standen. Sie konnten sich sorglos erquicken an der Reinheit eines taufrischen Morgens, der alle müden Lebensgeister zum Schöpfer erhob.

Ein solcher Morgen war angebrochen, als Resi Dörner aus dem Schlaf erwachte und das feierliche Geläute der Glocken vernahm. Sie läuteten das Osterfest ein. Resi sprang aus dem Bett und stieß die Fensterflügel auf. Es war ein herrlicher Morgen. Die frische Morgenluft strömte zum Fenster herein. Der Himmel blaute und die Sonne strahlte. In dem offenen Gang zwitscherten die Schwalben.

Unwillkürlich fiel Resi ein kleines Verslein ein, das sie einst mit zirpender Kinderstimme aufgesagt hatte. Der Ostermorgen lächelt/Als Bräutigam in die Welt,/Auf feinem Duft gefächelt/Kehrt er aus seinem Zelt.

Und sie empfand es so, wie diese Worte es besagten. War diese österliche Blütenpracht, diese frühjährliche Knospen und Treiben nicht ein solches feierliches Geschehen, wie wenn der Bräutigam kommt und seine Braut über und über mit Blüten besät?

Sie war beschwingt und frohgemut, Gestern Abend bei der großen, feierlichen Auferstehungs-Prozession war sie im Zuge der Marienmädchen geschritten mit dem weißen Kranz im Haar. Sie durfte die Statue der Gottesmutter Maria vorantragen auf ihren Schultern. Wie schön, wie herrlich war das!

Sie hatte so manches Auge auf sich ruhen gefühlt. O wie herrlich war es jung und froh zu sein! Sein stieß nun das zweite Fenster zum Hofe auf. Und wieder sog sie die köstliche Frische der kühlen Morgenluft ein.

Da beugte sie sich etwas mehr hinaus und zuckte zusammen. Sollte sie ihren Augen trauen? Hatte sie recht gesehen? Vor ihrem Fenster stand ein Korb, darin war aus grünem Klee ausgebettet ein Nest gemacht. Auf weißem Seidenpapier ausgebreitet lagen in dem Nest viel schöne Ostereier, bunt gefärbt und auch solche aus Zucker und Schokolade. Obenauf aber lag ein großes Herz aus Lebkuchen. Ein Osternest mit Gaben von einem unbekannten, geheimnisvollen Osterhasen. Resi war so überrascht, dass sie einen Augenblick in Verlegenheit und Zweifel kam. Ob dieses Nest wohl ihr gelten konnte. Nebenan lag ihre zwölfjährige Schwester Evi in den Kissen und schlief tief und fest. Nein, dem Kinde konnte das Lebkuchenherz nicht gelten! Das galt nur ihr!

Jetzt gewahrte sie auch, dass auf dem Lebkuchenherz eine zierliche Karte aufgeklebt war mit einem Sprüchlein. Sie wollte schnell nachsehen, was darauf zu lesen stand. Sie hob den Korb empor. Der Knecht des Hofes kam gerade in den offenen Gang und rief überrascht aus: „Resi, was sehe ich denn? Ein Osterhase hat sich vor deinem Fenster ein Nest gemacht?“ Resi wußte gar nicht was sie in ihrer Aufregung erwidern sollte. „Hast ihn vielleicht gesehen, den Osterhasen? – Was für einer war es denn?“ fragte sie hastig und zog den Korb zum Fenster hinein. „Nein ich weiß es nicht wer der Osterhase war“, entgegnete der Knecht mit einem verschmitzten Lächeln um den Mund.

Resi beeilte sich mit fliegendem Atem, ihr Nest vor den Augen des Knechtes zu verbergen. Sie las das Sprüchlein mit pochendem Herzen. Es war mit einer schön abgezirkelten, sauberen Schrift geschrieben und lautete: Mein Herz schenk ich dir/Schenkst du auch deines mir?/Gib einen leisen Deut mir nur,/Ob je mir blüht des Hoffens Spur!

Unterschrift war keine. Sie las es mit glühenden Wangen und stockendem Atem. Dann las sie es noch einmal, immer und immer wieder, bis sie es ganz auswendig wusste. Dann versteckte sie die Karte mit dem Sprüchlein im Wäschekasten hinter einem Stoß aufgestapelter Wäsche, die mit einem lichtblauen Seidenband sorgfältig gebündelt war. Nein, wenn Schwesterlein Evi aufwachte, sollte es nichts sehen von dem heimlichen Gruß des unbekannten, seltsamen Osterhasen. Jetzt nahm sie die Eier, betrachtete jedes einzelne, wiegte es in der Hand und legte es wieder zurück in das Nest. Sie freute sich wie ein Kind. Nein, es war sicher nichts dabei, wenn ein großes, herangewachsenes Mädchen ein Nest mit Ostereiern bekam. Sicher nichts! – Aber das Lebkuchenherz und das schöne Sprüchlein darauf! Darüber lag ein Geheimnis und ein unsagbarer Zauber, den sie ganz für sich allein haben musste.

Nein, ein rauer Geselle konnte das nicht sein, der solches ersonnen und erdacht hatte. Wer mochte es bloß sein? War es der lange, schlacksige Bernat, der sich das Sprüchlein irgendwo abgeschrieben hatte? – Doch nein, – ihm konnte sie solches nicht zutrauen. Auch seine Schrift war es nicht. Oder war es der stille Franz, der Ackerbauschüler, der zu Ostern nach hause gekommen war? Vielleicht auch der lustige Adam, dass er sich einen Spaß mit ihr erlaubt hatte? Resi stand vor ihrem Osternest und betrachtete es mit liebevollen Blicken. Wie sorgfältig alles hinein gelegt war! Von wem es auch immer sein mochte, es war schön, so beschenkt geworden zu sein. Und heimlich wünschte sie sich, es sei von jemandem, dem auch sie gut sein konnte.. Sie konnte ihre Neugier kaum zurückdämmen und dachte, wer der unbekannte, geheimnisvolle Osterhase auch sei, einmal wird er sich doch verraten. Und auch das stand bei ihr fest, ihren Kameradinnen wird sie von dieser geheimnisvollen Bescherung erzählen, auch von dem Lebkuchenherz und dem Sprüchlein. Aber das Sprüchlein selbst wird sie niemanden preisgeben. Das musste ihr Geheimnis bleiben. Niemand durfte davon wissen, als sie zwei, der Gebende und die Nehmende.

Sie eilte hurtig in die Küche und hatte bald ihre Hausarbeit getan. Dabei malte sie sich aus, wie ihre Kameradinnen überrascht sein werden über ihren geheimnisvollen Osterhasen. So war es auch. Beim Kirchgang trafen sich die Freundinnen und berichteten von ihrer Überraschung. Ja, alle hatten in dieser Nacht auf ähnliche Weise eine Osterüberraschung bekommen. Jede entdeckte in der Frühe ein Osternest vor ihrem Fenster. Alle hatten Ostereier bekommen und kleine Jux-Gegenstände. Die erste einen Hampelmann, die zwei5te einen Bleisoldaten und die dritte einen Taschenspiegel. Aber ein Lebkuchenherz mit einem Sprüchlein hatte niemand erhalten, nur Resi.

„Du hast einen geheimen Verehrer und willst uns es nicht sagen“, so hänselten die anderen immer wieder. Resi lachte und hänselte sie ebenso. Es war ihr leicht, noch wusste sie ja nicht, wer der Spender war.

Nachmittags nach der Vesperandacht, trafen sich die Mädchen zu einem Spaziergang durchs Dorf. Da gesellten sich auch die Burschen zu ihnen. Sofort fragten sie die Mädchen, was ihnen der Osterhase gebracht habe. Und die Mädchen erzählten unter Scherzen und Lachen von den Überraschungen, die sie am Morgen erlebt hatten. Jede beschrieb ihre Geschenke und musste sich die Neckereien der anderen gefallen lassen. Resi mit dem Lebkuchenherz stand im Mittelpunkt ihrer Anspielungen. Alle wollten den Wortlaut des Sprüchleins wissen. Doch sie tat geheimnisvoll und verriet es nicht. „Und war das Sprüchlein wenigstens schön?“, drang der lange Bernat unentwegt in sie. – „Und wie schön es war, aber verraten werde ich dirs nicht und wenn du vor lauter Neugier ein Nähkörbchen in die Seite kriegst.“ Bernat tat verärgert. Resi blieb wortkarg und sann ständig darüber nach, wer ihr das Herz wohl geschenkt haben mochte.

Am Ostermontagabend hatte die Liedertafel ein Kränzchen. Nach der Programmfolge gab es Tanz. Einer nach dem anderen holte Resi zum Tanz. Auch der Franz tanzte mit ihr, wie schon so oft. Er ließ sich anfangs nichts anmerken. Schließlich konnte er sich doch nicht enthalten. „Nun Resi, willst du mir nicht doch verraten, wie das Sprüchlein bei dem Lebkuchen gelautet hat?“ Sie wehrte sich. „Nein, keinem! Und… dir schon lange nicht!“ – „Warum gerade mir nicht?“ entrüstete sich Franz. „Weil…“, sie sie stockte plötzlich in ihrem Trutz und wurde über und über rot. „Weil du es warst!“ sagte sie kühn, einer plötzlichen Eingebung folgend.

Er sah ihr treuherzig in die Augen. „Und wenn ich es gewesen wäre, – wäre es dir recht?“ Sie schlug die Augen nieder. Die Frage verwirrte sie vollends. Sie spürte eine heiße Welle hochsteigen, eine Welle, wie wenn der Frühling in die Knospen brechen will, so betäubend und beseligend zugleich. Franz umfing sie mit zärtlichem Blick. Er zog sie fester an sich im dahinschwebenden Tanze. Ihr Wesen war so durchglüht von einem inneren Glanz, sie war so schön in diesem unbewussten Hingegebensein an den Augenblick, dass Franz versunken war in das Schauen ihres Antlitzes. Sie schwiegen beide. Aber ihr Schweigen war beredtes, jauchzendes Glück. So fing es an zwischen beiden. Noch verbargen sie scheu und zart ihr unbewusst keimendes, junges Glück. Und dann wuchs es hoch in ihnen und trug sie Jahre lang in stillem, stetigen Wachsen einander zu. Bis sie dann eines Tages vor dem Traualtar standen und ihren Bund fürs Leben besiegelten. Sie wurden ein glückliches Paar.

Der Sturm der Ereignisse ist auch über dieses Paar hinweggebraust. Heute sind die Wehmutsfalten nicht mehr zu löschen aus dem Gesicht, wenn Resi in die Aufsteigende Helle des jungen Ostermorgens blickt. Das Schicksal hat sie weit abgetrieben von der einstigen Heimat und einstigen Stätte des Glückes. Sie hat in Deutschland eine neue Bleibe gefunden. Ihr Mann ist irgendwo in der weiten Steppe Russlands geblieben…

Unvergesslich aber bleibt für Resi das Bild des einstigen Osternestes aus den Tagen ihres jungen, seligen Zueinanderfindens. Dann lispeln ihre Lippen wehmütig die einstigen Worte: Mein Herz schenkt ich dir/Schenkst du auch deines mir?…. Es ist ein stiller Gruß, ein leises sich versenke in das Bild des geliebten Mannes.

Doch der Ostermorgen lächelt auch hier. Und ihr Sohn, der nunmehr einundzwanzigjährige Walter, steht im strahlenden Ostermorgen und richtet sein Motorrad. Er hatte einen Ausflug besprochen mit seinem Mädel. Ganz zart über die Lenkstange gehängt, erblickt die Mutter ein dünnes, silbernes Kettchen mit einem Anhänger. Es ist ein Amulett mit einem silbernen kleinen Herz. „Auch du hast ein Herz als Amulett?“ sagte sie zu Walter. „Ich weiß um seine heimliche Sprache – Gib einen Deut mir nur,/Ob je mir blüht der Hoffnung Spur?

Der Sohn antwortete nichts. Aber die Mutter fühlt, es ist derselbe Frühling, derselbe Ostermorgen mit seinem Auferstehungswunder, der blütenselig in die Herzen bricht. Und es ist immer wieder derselbe Strom des Lebens, das siegreich sich erfüllen will.

eine donauschwäbische Erzählung von Annie Schmidt-Endres