Der Sinn von Familienbüchern ist, Menschen die Möglichkeit zu bieten in Erfahrung zu bringen, wer ihre Ahnen waren und woher sie kamen. Die meisten Heimatortsgemeinschaften haben Familienbücher herausgebracht, etliche befinden sich noch in Arbeit. Auf diesem Wege, aber nicht nur, suchen und finden immer mehr Nachkommen der Banater Schwaben in der ganzen Welt ihre Ahnen.
E-Mails aus Amerika oder sonstwo aus der Welt treffen bei der HOG Lenauheim immer wieder ein. Sie stammen meistens von Vertretern der jüngeren Generation, die bereits einige Anhaltspunkte und Daten zu ihren Ahnen besitzen und auf Spurensuche nach der eigenen Herkunft und Verwandtschaft sind. So traf auch eine Anfrage von Rosemari Glatz aus Brusque (Brasilien) ein. Sie hatte im Internet recherchiert, war auf die Seite der HOG Lenauheim gestoßen, wo sie die entsprechenden Kontaktdaten fand. Ihre Anfrage bezüglich ihrer Ahnen war leicht zu beantworten, zumal sie die Daten über die nahen Verwandten parat hatte. Frau Glatz wollte aber mehr. Sie wollte unbedingt ein Familienbuch, damit sie ihre ganze Verwandtschaft aus Lenauheim erforschen kann. Da dieses aber bereits vergriffen ist, konnte ich ihr ein Exemplar erst zuschicken, nachdem Helene Leichtfuß, geb. Taugner, ein Familienbuch aus dem Nachlass ihres Vaters Peter Taugner der HOG überließ. Frau Glatz durchforstete dankbar die Bücher und spätestens seit diesem Zeitpunkt verfolgt sie die Aktivitäten der HOG Lenauheim über Facebook und die Internetseite. Sie beschloss sogar, eine Reise nach Deutschland zu machen, um im persönlichen Gespräch noch mehr über ihre Herkunft und ihre Ahnen in Erfahrung zu bringen.
Mitte September kam Rosemari Glatz gut dokumentiert und akribisch vorbereitet mit allen Daten über ihre Großeltern, Familie Klein, im Gepäck, in Mannheim an. Eine Frau mittleren Alters, Leiterin des Finanzamtes in ihrem Wohnort, verheiratet, fünf erwachsene Kinder und sehr weltoffen. Wir haben uns die Zeit genommen, um über die Familie Klein zu sprechen und die Aktivitäten der HOG Lenauheim zu erläutern. Astrid Griebel lud den Gast zu einem Besuch nach Heidelberg ein. Frau Glatz war von der Schönheit der Stadt und ihrer Umgebung sowie den vielen Touristen überwältigt. Für den Abend war der Besuch des Traubenballs des Kreisverbandes Rhein-Neckar-Heidelberg vorgesehen. Hier wurden wir sehr freundlich vom Landes- und Kreisvorsitzenden Josef Prunkl und den Organisatoren begrüßt. Es sollte ein schöner Abend für Frau Glatz und uns werden. Die Musik der Banater Schwaben hat es ihr angetan. Sie hat auch das Tanzbein geschwungen und mit den Anwesenden viel erzählt.
Der Sonntag wurde mit einem gemeinsamen Gespräch begonnen, an dem sich auch Jürgen Griebel, stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, beteiligte. Danach folgte ein Spaziergang, der an der rumänisch-orthodoxen Kirche in Mannheim vorbeiführte. Wir wollten Frau Glatz diesen neuen Bau zeigen, da sie sich sehr für die Rumänen, die heute in Lenauheim wohnen, und ihre Kultur, interessierte. Bei dem zufällig stattfindenden Gottesdienst konnte sie die Kirche in ihrer Schönheit bewundern und den Andrang der Gläubigen erleben. Nach dem Mittagessen und vielen Gesprächen mussten wir uns wieder verabschieden, in der Hoffnung, uns irgendwann und irgendwo wiederzusehen.
Aber wer waren nun die Großeltern von Frau Glatz, die uns im September 2016 zusammengebracht haben? Man schrieb das Jahr 1924, die einen kamen aus Übersee zurück in unsere schwäbischen Dörfer, andere wiederum wanderten nach Übersee aus. Die große Kinderzahl war ein Grund dafür. Es hatten nicht mehr alle Platz und auch nicht mehr die Möglichkeit, von der Landwirtschaft zu leben. Handwerker gab es auch genug, also musste man einen Weg finden, um sein Leben in Würde, Freiheit und Frieden zu gestalten. Deswegen entschloss sich auch Familie Klein, bestehend aus Johann und seiner Frau Katharina und den Kindern Jakob (3 Jahre alt) und Anna (1 Jahr alt), in die Ferne zu ziehen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Johann Klein war Schneider von Beruf und hatte Katharina Bitto geheiratet, die ebenfalls Schneiderin war. Die beiden genannten Kinder wurden in Lenauheim geboren. Als die Zeit, die Heimat zu verlassen, näher rückte, wurde ein gemeinsames Familienfoto gemacht und ein Foto mit den Schwestern von Katharina, die beide auch heute noch erhalten sind. Das Schiff Cap Norte der Reederei Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft (HSDG), kurz: Hamburg Süd, sollte die Familie von Hamburg aus in die neue Welt bringen. Die Fahrt begann am 5. Juni 1924 mit dem Ziel Rio de Janeiro. Eigentlich war eine Aussiedlung nach Argentinien angedacht, dieser Plan wurde aber verworfen. Das Schiff Cap Norte dockte am 24. Juni 1924 am Manuá Platz in Rio de Janeiro an. Von hier aus ist die Familie mit dem Dampfschiff „Carl Hoepcke“ nach Florianópolis und Laguna gefahren. Von dort wiederum reiste sie mit der Eisenbahn „Thereza Cristina“ nach Criciúma weiter, einer Stadt im Bundesstaat Santa Catarina.
Hier angekommen, musste sich Johann Klein Arbeit suchen, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Er arbeitete ein Jahr lang im Bergbau. In dieser Zeit konnte er sich über die Gegebenheiten in Brasilien informieren, was dazu führte, dass die Familie in eine andere Gegend innerhalb des Bundesstaates Santa Catarina zog. Das Gebiet lag 280 Kilometer von Criciúma entfernt und war nicht besiedelt. Die Kleins traten die Reise mit dem Pferdewagen an und nahmen den weiten, beschwerlichen Weg auf sich. Am Ziel angekommen, mussten sie mit anderen Siedlern zuerst die Bäume roden, um Platz für Häuser zu schaffen. Der neue Ort bekam den Namen Taió. Familie Klein baute sich hier ihr erstes Haus. Ein Haus in der Freiheit, im wahrsten Sinne des Wortes, die aber auch so manche trübe Stunde über die Familie kommen ließ. Mittlerweile hatte sich die Familie vergrößert, es kamen Sohn Johann Joseph und Tochter Edda Catarina zur Welt. Letztere ist die Mutter von Rosemari Glatz.
Im Jahre 1942 trat Brasilien in den großen Krieg ein und kämpfte an der Seite der Alliierten gegen die Achsenmächte. Dies führte dazu, dass Johann Klein als Deutscher von den Brasilianern verhaftet wurde und Zwangsarbeit leisten musste. Er wurde bei der Bodennivellierung eingesetzt, dort, wo später die katholische Kirche der Stadt Rio do Sul gebaut wurde.
Im Laufe der Zeit konnten Johann und Katharina Klein in ihrem Beruf arbeiten und wurden angesehene Leute im Ort, mit einem zufriedenstellenden Einkommen. Die Kinder wuchsen heran und wurden zu ehrenhaften Menschen erzogen. Katharina Klein selbst pflegte noch lange Jahre Briefwechsel mit ihren Schwestern im Banat. Ein Brief von ihrer in Lenauheim lebenden Schwester Anna Bücher ist noch erhalten. Die Eheleute selbst haben nie wieder ihren Heimatort Lenauheim besucht. Einzig ihr Sohn Johann Joseph besuchte Lenauheim und das Banat zweimal, hinterließ Fotos und erzählte allen nur Schönes und Gutes vom Banat.
Von der Familiengeschichte fasziniert, hatte sich nun Frau Glatz, die Enkelin der Kleins, auf den weiten Weg über das Weltmeer gemacht, um noch mehr zu erfahren. Sie erzählte mir, dass ihre Großeltern übrigens ihr ganzes Leben lang nur „schwowisch“ sprachen und die ihnen vetraute Lebensweise pflegten. Im Herzen sind sie für immer Banater Schwaben geblieben. Wir haben Frau Glatz für nächstes Jahr zur 250-Jahr-Feier nach Lenauheim eingeladen. Vielleicht kann sie sich ihren Traum erfüllen, den Heimatort ihrer Großeltern, der Familie Klein, selbst zu erkunden. Wir wünschen es ihr.
Ein Gedanke zu „Lenauheimer Wurzeln werden gesucht“
Kommentare sind geschlossen.